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- <html newsdate="2013-12-11">
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- <title>Verpasste Chancen: Wo die Große Koalition nachbessern muss</title>
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- <h1>Verpasste Chancen: Wo die Große Koalition nachbessern muss</h1>
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- <p newsteaser="yes">Der finale Koalitionsvertrag, über den die
- SPD-Mitglieder bis zum 14. Dezember abstimmen, beschreibt sich selbst als
- Weichenstellung hin zu einer echten digitalen Gesellschaft. Die Free
- Software Foundation Europe (FSFE) kann ebenfalls Fortschritte erkennen, aber
- keine Meilensteine, die Deutschland zum Spitzenreiter der Digitalisierung
- von Gesellschaft und Wirtschaft machen würde, wie es sich die
- Koalitionspartner zum Ziel gesetzt haben.</p>
-
- <p>Erfreulich ist, dass sich CDU/CSU und SPD auf eine klare Haltung
- gegenüber dem Routerzwang geeinigt haben, dem sie eine deutliche Absage
- erteilen<a class="fn" href="#1">1</a> und damit der <a href="/news/2013/news-20131104-02.de.html">Empfehlung der FSFE</a> folgen. Ebenso plädieren
- sie für Freie Lizenzen und Open Access im Bildungssystem<a class="fn" href="#2">2</a> und erwähnen in
- vielerlei Hinsicht IT-Sicherheit als Voraussetzung für Vertrauen der Bürger
- in öffentliche Behörden und Projekte<a class="fn" href="#3">3</a>. Dazu passend erwähnt der
- Koalitionsvertrag auch den Willen zur Förderung von offenen Plattformen und
- großflächiger Interoperabilität<a class="fn" href="#4">4</a>.</p>
-
- <p>Trotz dieser guten Absichten vermisst die FSFE klare Zugeständnisse und
- konsequente Schlussfolgerungen. Bei Anschaffungen und Entwicklungsaufträgen
- von Software für öffentliche Einrichtungen beispielsweise soll Freie
- Software nur erwogen, jedoch nicht priorisiert werden<a class="fn" href="#5">5</a>, wie es angesichts
- der zum Ziel gesetzten Werte wie IT-Sicherheit und Interoperabilität nötig
- wäre. In diesem Zusammenhang ist fragwürdig, welche Gründe konkret gegen
- eine generelle Priorisierung Freier Software sprechen. Eine ähnlich
- vorsichtige Formulierung fand sich auch schon im Koalitionsvertrag der
- vorherigen Regierung<a class="fn" href="#6">6</a>, was keine Stärkung Freier Software auf Bundesebene
- mit sich brachte. Auch ambitionierten Projekten wie bundesweiten Warn- und
- Informationssystemen für Bürger<a class="fn" href="#7">7</a> und der Zentralisierung der Bundes-IT
- ohne Herstellerabhängigkeit<a class="fn" href="#8">8</a> fehlt die letzte Konsequenz, dass diese nur
- mit Freier Software plattformunabhängig umgesetzt werden können. Welche
- Gründe sprechen dagegen, dass öffentlich finanzierte Software verpflichtend
- unter Freie Lizenzen gestellt werden muss?</p>
-
- <p>Bei der Analyse des Koalitionsvertrags fällt auf, dass im Gegensatz zu
- früheren Entwürfen Offene Standards nicht mehr wörtlich auftauchen, sondern
- nur noch in Umschreibungen. Diese sind für viele gute Ideen wie Open Access
- im Bildungssektor eine Grundvoraussetzung, um Inhalte diskriminierungsfrei
- und interoperabel anbieten zu können. Hier fordert die FSFE von der
- Großen Koalition, den Worten konkrete Taten für Freie Software folgen zu
- lassen. Ebenso vermisst die FSFE trotz eines <a href="/news/2013/news-20130612-01.de.html">interfraktionellen
- Antrags</a> klare Aussagen gegen Softwarepatente und trotz <a href="/news/2012/news-20121120-01.de.html">eines
- Eckpunktepapiers</a> der Bundesregierung konkrete Maßnahmen gegen kritische
- Technologien wie Secure Boot, die die Unabhängigkeit von Bürgern,
- Unternehmen und Staaten gefährden.</p>
-
- <p>Dabei könnte Deutschland schon heute von der Erfahrung seiner
- unmittelbaren EU-Nachbarn lernen. Die Niederlande etwa stehen im
- <a href="https://www.un.org/en/development/desa/publications/connecting-governments-to-citizens.html">E-Government-Index der UN</a> europaweit an oberster Stelle, während
- Deutschland im EU-Vergleich auf Platz 10 rangiert. Dort können etwa
- Steuererklärungen auch nativ auf GNU/Linux-Systemen ausgefüllt werden,
- wogegen sich <a href="https://blogs.fsfe.org/mk/elstergate-elsterformular-fur-gnulinux-und-mac-os-x-zuruckgehalten">deutsche Behörden immer noch stemmen</a>. In Frankreich wurde
- <a href="https://joinup.ec.europa.eu/community/osor/news/ministries-france-detail-use-and-plans-free-software">ein Netzwerk aufgestellt</a>, über welches detailliert erfasst wird, wo welche
- Freie Software wie verwendet wird und welche Ergebnisse damit erreicht
- werden. Die Französische Gendarmerie hat mehrere zehntausend Computer
- auf GNU/Linux-Systeme umgestellt und dadurch die <a href="https://joinup.ec.europa.eu/community/osor/news/french-gendarmerie-open-source-desktop-lowers-tco-40">IT-Kosten um 40% gesenkt</a>.
- Schwedens Ausschreibungssystem ermöglicht es auch kleineren regionalen
- Firmen, Bundesaufträge oder Teile davon anzunehmen, was die lokale
- Wirtschaft stärkt und gleichzeitig die <a href="https://joinup.ec.europa.eu/news/se-framework-agreement-increases-use-open-source">Interoperabilität zwischen Gemeinden
- und Behörden verbessert</a>. Ähnliche positive Erfahrungen und Strategien
- sind auch in Großbritannien und in Italien, wo Freie Software in Behörden
- priorisiert wird, zu beobachten.</p>
-
- <p>In Deutschland hingegen ließ sich in den letzten Jahren eher Stagnation
- und Rückschritt verzeichnen. Die Umstellung auf Freie Software im
- Auswärtigen Amt wurde gestoppt, andere Freie-Software-Projekte in ihrer
- Umsetzung behindert und keine neuen gefördert.</p>
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- <p>Zwar zeigt der Koalitionsvertrag, dass CDU/CSU und SPD grundsätzlich
- gewillt sind, Freier Software mehr Bedeutung zukommen zu lassen. Doch um
- wieder den Anschluss an die europäische Spitze zu finden, ist es nötig, dass
- die Regierung in den nächsten vier Jahren konsequent Freier Software den
- Vorrang in Ausschreibungen und kritischen Infrastrukturen gewährt. Nur durch
- die Förderung Freier Software ist es möglich, Freiheit, Sicherheit und
- Wettbewerb in einer digitalen Gesellschaft zu vereinen.</p>
-
-
- <h2 id="fn">Fußnoten</h2>
- <ol>
- <li>
- <blockquote id="1"><p>"Wir wollen eine gesetzliche Klarstellung für den Netzzugang von
- Telekommunikationsanbietern. Nutzerinnen und Nutzer müssen die freie Auswahl
- an Routern behalten. Daher lehnen wir den Routerzwang ab. Die zur Anmeldung
- der Router (TK- Endeinrichtungen) am Netz erforderlichen Zugangsdaten sind
- den Kundinnen und Kunden <strong>unaufgefordert mitzuteilen</strong>." (S. 49)</p></blockquote></li>
-
- <li>
- <blockquote id="2"><p>"Die digitale Lehrmittelfreiheit muss gemeinsam mit den Ländern gestärkt
- werden. Grundlage hierfür ist ein bildungs- und forschungsfreundliches
- Urheberrecht und eine umfassende Open-Access-Politik. Schulbücher und
- Lehrmaterial auch an Hochschulen sollen, soweit möglich, frei zugänglich
- sein, die Verwendung <strong>freier Lizenzen und Formate</strong> ausgebaut werden." (S. 30)</p></blockquote></li>
-
- <li>
- <blockquote id="3"><p>"Voraussetzung für die Akzeptanz elektronischer Behördendienste sind
- Datenschutz und Sicherheit der Kommunikation und Angebote. Die
- Identifizierungsfunktion des neuen Personalausweises und die Nutzung von
- Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen sind grundsätzlich anzuwenden." (S. 152)</p></blockquote>
-
- <blockquote><p>"Die Weiterentwicklung und Verbreitung von Chipkartenlesegeräten,
- Kryptographie, DE-Mail und sicheren Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen sowie
- vertrauenswürdiger Hard- und Software gilt es erheblich auszubauen." (S.
- 148)</p></blockquote></li>
-
- <li>
- <blockquote id="4"><p>"Unser Ziel ist, bei Schlüsseltechnologien und IT-Kernkompetenzen
- (IT-Sicherheit, Netzwerktechnik, Embedded Systems, Prozess- und
- Unternehmenssoftware, Kryptographie, Machine-to-Machine-Kommunikation etc.)
- eigene Technologieplattformen und Produktionslinien in Deutschland bzw. im
- europäischen Verbund zu halten. <strong>Als Alternative zu den geschlossenen
- digitalen Ökosystemen unterstützt und fördert der Bund im Software-Bereich
- gerade auch die Entwicklung von offenen Plattformen und Open-Source-Lösungen
- und setzt sich dafür auch auf europäischer Ebene ein</strong>. Wir wollen im globalen
- Wettbewerb „Software made in Germany“ als Qualitätsversprechen bzgl.
- Sicherheit, Datenschutz, Design und Nutzerfreundlichkeit stärken. Wir
- unterstützen Prozesse der <strong>Standardisierung, Interoperabilität</strong> und
- Zertifizierung als wichtige Parameter für den Markterfolg deutscher
- Produkte." (S. 20)</p></blockquote></li>
-
- <li>
- <blockquote id="5"><p>"Bei der Anschaffung von IT-Technologie durch die öffentliche Hand müssen im
- Rahmen des Wirtschaftlichkeitsprinzips Innovationspotenziale und
- Nachhaltigkeit als <strong>mitentscheidende Kriterien bedacht werden</strong>. Bei
- Ausschreibungen sollen Sicherheitsstandards vorgegeben und <strong><em>wenn möglich</em>
- Open-Source-Lösungen erwogen werden</strong>." (S. 152)</p></blockquote></li>
-
- <li>
- <blockquote id="6"><p>"Die Informationstechnik des Bundes bedarf der
- Konzentration, Standardisierung und Effizienzsteigerung sowie Bündelung
- vorhandener Ressourcen. Wir werden hierzu den Beauftragten der
- Bundesregierung für Informationstechnik stärken. Wir prüfen, wie die IT
- des Bundes sich zukünftig an offenen Standards orientieren und dabei
- auch Open-Source-Lösungen berücksichtigen kann." (<a href="http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Ministerium/koalitionsvertrag.pdf">Alter Koalitionsvertrag</a> S. 102)</p></blockquote></li>
-
- <li>
- <blockquote id="7"><p>"Wir fördern die Entwicklung und den Einsatz von bundesweiten Warn- und
- Informationssystemen, mit denen Bürgerinnen und Bürger per SMS, E-Mail oder
- über eine App über Unfälle, Gefahren und Katastrophen informiert werden
- können." (S. 144)</p></blockquote></li>
-
- <li>
- <blockquote id="8"><p>"Der Bund wird den Ländern vorschlagen, die Programme des E-Governments
- unter Verantwortung des IT-Planungsrates zu konsolidieren und zu
- koordinieren. Dabei sind Technologien <strong><em>nach Möglichkeit</em> langfristig</strong> so zu
- planen, dass <strong>keine Abhängigkeiten zu intransparenten Protokollen, Software,
- Hardware oder Herstellern entstehen</strong>." (S. 152)</p></blockquote></li>
-
- </ol>
-
-
- </body>
- <tags>
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-
- <tag>PublicAdministration</tag>,
-
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