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<title>Furcht, Ungewissheit und Zweifel - Die Hürden für Routerfreiheit in Deutschland</title>
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<h1>Furcht, Ungewissheit und Zweifel - Die Hürden für Routerfreiheit in Deutschland</h1>
<p>Stellen Sie sich dieses hypothetische Szenario vor:
Sie sind umgezogen. Abgesehen von all dem Stress, den das Einpacken,
der Transport und das Auspacken all Ihrer Sachen in Ihrem neuen Zuhause
mit sich bringt, müssen Sie sich auch mit dem Anschluss der Haustechnik
befassen. Der Stromanbieter erweist sich als schwierig: Dieser meint,
Sie müssten Ihren Fernseher, den Toaster, den Kühlschrank und die
meisten Ihrer Lampen austauschen.</p>
<p>Er sagt auch, dass er nicht garantieren könne, dass Sie überhaupt
Strom haben würden, wenn Sie nicht einen ganzen Satz neuer Geräte von
ihm kaufen würden. Sie verstehen es nicht: Ihre Sachen haben in Ihrer
alten Wohnung doch einwandfrei funktioniert.</p>
<p>Der Wasserversorger ist nicht viel besser. Der sagt Ihnen, dass Ihre
alte Waschmaschine "nicht unterstützt" werde und dass Sie sogar Ihre
Zahnbürste austauschen müssten oder Sie riskierten, das Wassernetz der
ganzen Stadt aus irgendeinem unerklärlichen Grund zu verschmutzen. Wir
vermuten, dass Sie dieses Szenario zweifellos nur schwer glauben
können. Wir machen Ihnen keine Vorwürfe: Es klingt so lächerlich, dass
man es gar nicht glauben kann.</p>
<p>Aber schauen Sie sich jetzt diese sehr <strong>reale</strong>
Situation an:</p>
<h2>Max and Lucas sind umgezogen</h2>
<p>Nicht zusammen, aber doch mehr oder weniger gleichzeitig. Wir (mein
Kollege Lucas und ich, Max) zogen in neue Wohnungen in unseren
jeweiligen Städten in Deutschland und beschlossen, dass wir über unsere
eigenen Router eine Verbindung zum Internet herstellen möchten. Seit
August 2016 ist dies dank eines <a
href="/news/2016/news-20160725-01.html">neuen Gesetzes möglich, für das
sich die FSFE seit 2013 eingesetzt hat</a>. Nach dem Gesetz können
Internetdienstleister (Internet Service Providers, ISPs) ihre eigene
technische Ausrüstung anbieten, aber sie dürfen sie Ihnen nicht
aufzwingen. Um die freie Wahl von Modems und Routern zu ermöglichen,
müssen ISPs die notwendigen Informationen für die Installation und
Nutzung von Kommunikationsendgeräten und -diensten bereitstellen,
kostenlos und ohne dass Kundinnen und Kunden danach fragen müssen.</p>
<p>Aber wir haben bald erkannt, dass unsere ISPs, Unitymedia und
Vodafone, nicht gewillt sind, diesen Prozess zu akzeptieren. Das hier
ist eine Geschichte von weichen und harten Hürden und darüber, wie man
sie individuell und als Gemeinschaft überwinden kann. Es ist wichtig,
die Hürden, die uns die Internetanbieter in den Weg legen, nicht zu
ignorieren. <a href="/activities/routers/">Routerfreiheit</a> bietet zu
viele Vorteile als dass man sie ignorieren könnte, darunter die der
Unabhängigkeit, Sicherheit, Privatsphäre und Kontrolle unserer
Technologie.</p>
<figure>
<img
src="https://pics.fsfe.org/uploads/big/f0bb57b6899e3429728de5051c7b0f44.png"
alt="Four benefits of Router Freedom"/>
<figcaption>
Einige der vielfältigen Vorteile von Routerfreiheit
</figcaption>
</figure>
<h2>Weiche Hürden</h2>
<p>Im November 2019 erfuhr Lucas eine so genannte weiche Barriere, die
ihm von seinem ISP Vodafone in den Weg gestellt wurde. Als er in eine
neue Wohnung umzog, beantragte er einen DSL-Anschluss. Nachdem er einen
ganzen Monat auf den Anschluss gewartet hatte, versuchte der
Kundendienst des ISPs, Lucas davon zu überzeugen, keinen eigenen Router
zu verwenden. Die Vodafone-Angestellten erklärten mehrmals, dass ein
privater Router teurer, schwer zu installieren, nicht sicher und für
das öffentliche Netz schädlich sei. Noch besorgniserregender war
außerdem, dass sie Lucas damit drohten, im Falle, dass er auf einem
privaten Router bestehe, keinen technischen Support leisten zu können.
Immerhin stellte der ISP zumindest ohne Verzögerung die notwendigen
Anmeldeinformationen zur Verfügung.</p>
<p>Dieses Verhalten wird als "weiche Hürde" bezeichnet. Obwohl Vodafone
Lucas nicht mit vertraglichen Mitteln daran hinderte, seinen privaten
Router zu benutzen, oder wichtige Informationen für die
Routerkonfiguration (Login-Daten) verweigerte, versuchte der
Kundendienst von Vodafone, Lucas subtil davon zu überzeugen, nicht
seinen eigenen Router zu benutzen - mit den üblichen wirtschaftlichen
und unternehmerischen Argumenten, die ISPs ihren Kunden dazu
normalerweise aufdrängen. In den meisten Fällen reicht das aus,
Menschen von Routerfreiheit abzuschrecken.</p>
<h2>Harte Hürden</h2>
<p>Im Dezember desselben Jahres zog ich in eine neue Stadt und
entschied mich für einen Business-Internetanschluss über Kabel, der von
Unitymedia (inzwischen weitgehend von Vodafone übernommen) angeboten
wurde. Nach mehreren Anrufen besuchte schließlich ein Techniker meine
neue Wohnung und installierte erfolgreich das Standardmodem des ISPs.
Natürlich merkte ich sofort an, dass ich meinen eigenen Router
verwenden möchte. Der Techniker sagte mir, dass dies nicht erlaubt
sei.</p>
<p>In einem Gespräch mit der Service-Hotline erfuhr ich, nachdem ich
einige der bereits erwähnten weichen Hürden abgewehrt hatte, dass eine
der von mir bestellten Funktionen, eine statische IPv4-Adresse, <a
href="https://kabel.vodafone.de/hilfe_und_service/faq/article/question/was-muss-ich-zur-endgeraetefreiheit-wissen">bei
der Verwendung eines eigenen Routers nicht verfügbar ist</a>. Der Grund
sei offenbar, dass die <a
href="https://www.vodafone.de/business/hilfe-support/unitymedia-faq/hardware.html#ich-habe-feste-ip-adressen-moechte-aber-trotzdem-einen-fremd-router-nutzen-habe-ich-ein-sonderkuendigungsrecht">Adresse
nur auf deren Geräte abgebildet werden könne</a> - obwohl mein eigener
Router genau dem Modell des Internetanbieters entspricht.</p>
<p>Obwohl ich jetzt (nach einer langen Reihe von Hotline-Anrufen und
Wartezeiten) meinen eigenen Router verwenden kann, kann ich ein
wesentliches Merkmal, das ich bestellt hatte, immer noch nicht nutzen.
Dies ist eine "harte Hürde", weil Kunden, die von ihrer Wahlfreiheit
Gebrauch machen wollen, schlechter behandelt werden. Zumindest kann ich
die Freiheit genießen, ein Gerät zu benutzen, das mir gehört und
welches ich kontrollieren kann, aber ich werde dieses Fehlverhalten
meines Internetanbieters der Bundesnetzagentur und der
Verbraucherzentrale melden (siehe unten).</p>
<figure>
<img
src="https://pics.fsfe.org/uploads/big/10752e931d933d93367d350a6bf2ec66.jpg"
alt="A manikin working on a router"/>
<figcaption>
Bild von Konrad Twardowski, lizenziert unter CC-BY-SA-2.0
</figcaption>
</figure>
<h2>Wie mit den Hürden umgehen?</h2>
<p>Alle sollten ihre eigenen Modems oder Router wählen können. Wir
nennen das Routerfreiheit, und die Internetdienstleister (ISPs) dürfen
sie nicht einschränken. In Europa, und speziell in Deutschland, wird
diese Freiheit durch mehrere Richtlinien und Gesetze gewährleistet. Es
ist ironisch, dass wir, die beiden Koordinatoren der FSFE-Kampagne für
Routerfreiheit, aus erster Hand erfahren haben, wie deutsche ISPs immer
noch nur widerstrebend den Menschen die Nutzung ihrer eigenen Geräte
erlauben.</p>
<p>Für den Fall, dass Sie in Europa wohnen und Ihr ISP versucht, Sie
von seinem Standardrouter zu überzeugen, ist hier ein kleiner
Leitfaden, wie Sie vorgehen können:</p>
<ol>
<li>Wenn man Ihnen sagt, dass Sie Ihren eigenen Router nicht benutzen dürfen,
können Sie dies der <a
href="https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/national-regulatory-authorities-member-states">nationalen
Regulierungsbehörde</a> oder der <a
href="https://eba.europa.eu/consumer-corner/national-competent-authorities-for-consumer-protection">Verbraucherschutzbehörde
Ihrer Region</a> melden. Es gibt vielerorts auch staatlich
unabhängige Organisationen und Plattformen, denen man Probleme melden
kann, z.B. <a
href="https://www.marktwaechter.de/mitmachen/beschwerdeformular">Marktwächter</a>
in Deutschland. Bitte teilen Sie Ihre Erfahrungen im <a
href="https://community.fsfe.org/c/activities/router-freedom">Forum
der FSFE</a> mit, um uns und anderen zu helfen.</li>
<li>Wenn Sie Ihren Router benutzen können, aber der Internetanbieter
sich weigert, die Zugangsdaten für das öffentliche Netzwerk zur
Verfügung zu stellen, ist dies auch ein Fall für die nationale
Regulierungsbehörde oder die Verbraucherschutzbehörde. Bitte befolgen
Sie die gleiche Prozedur, die oben erklärt wurde.</li>
<li>Wenn Sie Ihren Router benutzen dürfen, aber der Internetanbieter
sich weigert, technische Unterstützung zu leisten, müssen Sie wissen,
dass jeder Internetanbieter vertraglich verpflichtet ist, technische
Unterstützung im Zusammenhang mit Ihrem Zugang zum Internet zu
leisten. Der ISP kann zwar die Unterstützung Ihres privaten Routers
verweigern, aber alle anderen Fragen bezüglich der Verbindung muss
von ihm bearbeitet werden; und nach unserer Erfahrung können die
meisten Probleme mit Routern durch eine schnelle Suche im Internet
gelöst werden.</li>
</ol>
<h2>Wie viele Menschen sind von den Hürden der Routerfreiheit betroffen?</h2>
<p>Deutschland war eines der ersten europäischen Länder, das ein Gesetz
zur Routerfreiheit eingeführt hat, im Anschluss an die <a
href="/activities/routers/timeline.html">Bemühungen der FSFE-Kampagne
für Routerfreiheit</a>. Die Zahl der Menschen, die ihre eigenen Router
benutzen, ist langsam aber stetig gewachsen. <a
href="https://www.golem.de/news/drei-jahre-routerfreiheit-vodafone-kritisiert-nutzer-mit-eigenem-router-1908-142996.html">Jüngsten
Berichten zufolge</a> benutzen bei Vodafone, dem zweitgrößten ISP in
Deutschland, 3,5% der Kabelkunden einen eigenen Router. Bei Unitymedia,
einem großen Kabel-ISP, der von Vodafone aufgekauft wurde, liegt die
Zahl bei 2%.</p>
<figure>
<img
src="https://pics.fsfe.org/uploads/big/0eebfabf3c1893aad52325b0d96a3ace.png"
alt="Router Freedom statistics for Vodafone in Germany"/>
<figcaption>
Routerfreiheit und Vodafone in Deutschland
</figcaption>
</figure>
<p>Beschwerden über Verstöße gegen Artikel 3(1) der
Netzneutralitätsverordnung, die auch die Routerfreiheit schützt, nehmen
schneller zu. Die deutsche Bundesnetzagentur, die für die Überwachung
der Netzneutralitätsregeln im Land zuständig ist, hat dies für den <a
href="https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/EN/Areas/Telecommunications/Companies/MarketRegulation/NetNeutrality/NetNeutralityInGermanyAnnualReport2018_2019.pdf">Berichtszeitraum
2018-2019</a> als eine "zunehmend wichtige Angelegenheit" registriert
(S. 11), schätzt ihre Eingriffsmöglichkeiten in solchen Fällen aber als
begrenzt ein.</p>
<p>Die zunehmende Tendenz motiviert uns, weiterhin die Flagge für
Routerfreiheit zu hissen. <a href="https://my.fsfe.org/donate">Ihre
Unterstützung</a> macht einen Unterschied für das öffentliche
Bewusstsein über diese einfache, aber kraftvolle Idee: Befreien Sie
Ihren Router!</p>
<h2>Holen Sie sich Ihre Rechte zurück!</h2>
<p><a href="/activities/routers/">Routerfreiheit</a> geht uns alle
etwas an. Besuchen Sie <a
href="https://wiki.fsfe.org/Activities/CompulsoryRouters">unsere
Wiki-Seite</a>, wo Sie alle notwendigen Informationen finden, um aktiv
gegen die Störung der Routerfreiheit vorzugehen und das Bewusstsein in
Ihrem Umfeld und bei Ihren politischen Repräsentanten zu erhöhen.
Teilen Sie Ihre Erfahrungen im <a
href="https://community.fsfe.org/c/activities/router-freedom">FSFE-Forum</a>,
damit wir gemeinsam für Routerfreiheit eintreten können!</p>
<p>Langfristige politische und öffentliche Arbeit für die
Routerfreiheit erfordert Ressourcen. Bitte erwägen Sie, <a
href="https://my.fsfe.org/support">die FSFE zu unterstützen</a> und
helfen Sie uns damit, diese und weitere Aktivitäten fortzusetzen.</p>
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<discussion href="https://community.fsfe.org/t/fear-uncertainty-and-doubt-the-barriers-to-router-freedom-in-germany/411" />
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