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<html newsdate="2012-11-16">
<head>
 <title>Nächste Woche Dienstag: Freiburg entscheidet über Aus von ODT</title>
</head>
<body>
 <h1>Nächste Woche Dienstag: Freiburg entscheidet über Aus von ODT</h1>
<p id="introduction" newsteaser="yes">Am kommenden Dienstag entscheidet
Freiburg darüber, ob sie in Zukunft statt dem Open Document Format Microsofts
propritäres Format OOXML verwenden werden. Der nachfolgende offene Brief
wurde soeben von der <a href="http://www.osb-alliance.com/">Open Source
Business Alliance</a>, der <a href="/index.html">Free Software Foundation
Europe</a> dem <a href="http://www.bikt.de/">Bundesverbands Informations-
und Kommunikationstechnologie</a>, der <a
href="http://www.documentfoundation.org/">Document Foundation</a> und <a
href="http://www.frodev.org/">Freies Office Deutschland e.V.</a>
verschickt. Bereits im <a href="/news/2012/news-20120918-01.html">September</a>
hatten wir diesbezüglich die Bürgermeister und Mitglieder des Gemeinderats
der Stadt Freiburg kontaktiert.</p>
<p>Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Salomon,<br />
Sehr geehrte Stadträtin, Sehr geehrter Stadtrat,</p>
<p>In der Drucksache G-12/223 liegt Ihnen derzeit ein Beschlussantrag mit drei
Punkten vor, der nichts weniger als die Abkehr der Stadt Freiburg von einer
offenen und nachhaltigen IT-Strategie beschließen soll. Nach unserer
Überzeugung wäre es für die Stadt Freiburg und ihre Bürger von großem Nachteil,
sollte diese Beschlussvorlage Bestätigung finden. Aufgrund der Faktenlage und
nach Durchsicht der Gutachten, der Vorlage und der Anhänge schlagen wir vor,
den Beschluss abzulehnen.</p>
<h2>1.) Aufhebung des Gemeinderatsbeschluss G-07/067 (Open Document
Format)</h2>
<p>Zunächst verdient der dritte Punkt des Antrages eine tiefere Begutachtung,
die unserer Meinung nach nicht innerhalb der wenigen zur Verfügung stehenden
Tage möglich ist, aber schwerwiegende und nachhaltige Konsequenzen hätte. Mit
der dort verlangten “Aufhebung des Gemeinderatsbeschluss gemäß Drucksache
G-07/067 vom 26.06.2007 (...) soweit es um die Verwendung von Open Document als
Standardformat geht.” würde die Stadt Freiburg einen Weg beschreiten, der nicht
mit den Prinzipien einer modernen und freien Informationsgesellschaft mit ihrem
Anspruch an Nachhaltigkeit und Offenheit vereinbar ist. Die freiwillige
Abhängigkeit (Vendor-Lock-In) von einem Softwarehersteller (in diesem Falle
Microsoft), der alleine über Features und Funktionen eines Dateiformates
entscheidet, ist nach unserem Dafürhalten nicht mit den Ansprüchen einer von
Steuern finanzierten Behörde vereinbar.</p>
<p>Im Gegenteil: Das Streben nach einem offenen Standard, hatte im Bereich der
Office-Formate eben zu der Zielvorgabe geführt, die der Gemeinderat 2007 in
weiser Voraussicht definierte. Immer mehr Gemeinden, Städte und Behörden
(München, Leipzig, Schwäbisch Hall, zahlreiche US-amerikanische Städte, aber
auch ganze Länder wie Brasilien, Italien, Spanien, … ) erkennen die
Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit freier Formate und offener Standards, auch und
gerade in der Dokumentenverarbeitung. Und nicht zuletzt hat auch Microsoft
selbst ODF in seine Office-Produkte (ab 2013 <a
href="http://office.microsoft.com/de-de/word-help/unterstutzung-fur-das-opendocument-format-in-microsoft-office-2010-HA101878944.aspx">vollständige
Unterstützung</a>) eingebaut. Ein Wechsel, wie ihn Punkt 1 und 2 der
Beschlussvorlage vorsehen, muss also keineswegs mit einer grundsätzlichen
Änderung des Beschlusses und des Dokumentenformates einhergehen. Diese Annahme
ist falsch, ebenso die Annahmen, ein freies Dokumentenformat sei zwingend an
eine freie Office-Suite gebunden. Das durch die Beschlussvorlage beförderte
DocX- bzw. OOXML-Format ist dagegen kein offenes Format.</p>
<p>Auch die Europäische Kommission warnt in ihrem <a
href="http://cordis.europa.eu/fp7/ict/ssai/docs/ictprocurementworkshop-dec2011/draftguidelines-action23-21dec2011.pdf">kommenden Leitfaden im Kapitel "know your standards"</a> davor.</p>
<h2>2) Kritik am Gutachten und an der Stellungnahme der Behörde:</h2>
<p>Das Gutachten, dass zum Wechsel auf eine reine Microsoft-Strategie rät,
stellt an einigen Stellen die Realität fehlerhaft dar. Hier nur eine
Auswahl:</p>
<ul>
<li>Auch kleinere Städte wie Schwäbisch Hall und Treuchtlingen sind durchaus, im
Gegensatz zur Darstellung, sehr erfolgreich mit freier Office-Software. Beide
sind auch Mitglieder der Open Source Business Alliance e.V. - wie die Stadt
Freiburg. Wir möchten an dieser Stelle einen ernsthaften Erfahrungsaustausch
anregen.</li>
<li>Die Einschätzung des Gutachters, dass eine Kompatibilität zu Microsoft
Office nicht in den nächsten Jahren erreichbar sei, ist ebenfalls falsch.
Wichtig ist hier eben die unter Punkt 1 genannte Verwendung offener Standards,
dann ist diese Kompatibilität selbstverständlich. Der Gutachter bleibt hierbei
schuldig, welchen Einblick in die verschiedenen Freie-Software-Projekte er zu
diesem Thema hat. An den verschiedenen Open-Source-Alternativen sind kompetente
Software-Hersteller beteiligt, die auch nachhaltige und langfristige
Perspektiven sichern. Ein Beispiel hierfür wäre etwa IBM, das große Teile des
Office-Paketes IBM Symphony als Freie Software veröffentlicht hat. Und nicht
zuletzt Microsoft selbst verspricht zum Beispiel in Office 2013 vollständige
ODF-Kompatibilität.</li>
<li>Zahlreiche Aussagen betreffend LibreOffice und Apache OpenOffice sind falsch
oder veraltet. Für Beide gibt es in Deutschland ein breites und fachlich
kompetentes Support-Angebot, das von SUSE bis hin zu vielen kleineren, auch in
Baden-Württemberg vertretenen Anbietern reicht. Eine Liste können wir auf Ihren
Wunsch gerne erarbeiten.</li>
<li>Der WollMux als Anwendung zur zentralen Verwaltung und Nutzung von
einheitlichen Vorlagen und Formularen bildet einen wichtigen Baustein in der
Gesamtstrategie zur Optimierung der Arbeitsabläufe in der Stadt Freiburg. Diese
von der Landeshauptstadt München entwickelte Anwendung, die als Freie Software
ebenso wie OpenOffice.org lizenzkostenfrei genutzt werden kann, steht für
Microsoft Office nicht zur Verfügung. Bei einer Migration auf Microsoft Office
entfiele damit ein wichtiger und von der Anwendern hoch geschätzter Bestandteil
der Arbeitsplatzausstattung.</li>
<li>Aus unserer Sicht wichtig, aber überhaupt nicht thematisiert ist der Einsatz
neuerer Versionen der freien Office-Pakete. Hierbei bleibt es zunächst
irrelevant ob LibreOffice oder Apache OpenOffice verwendet wird. In beiden
Fällen werden durch schnelle Updates eine Vielzahl von Benutzerproblemen
behoben. Neue Releases erfolgen hier wesentlich öfter als bei Microsoft.
Darauf gehen weder das Gutachten noch der Bericht der Verwaltung ein. Hier
lässt sich problemlos weiteres Optimierungspotential erzielen.</li>
<li>Das Gutachten vergleicht in seinen Handlungsanweisungen Äpfel mit Birnen.
Zwar werden in den uns verfügbaren Anhängen auf zahlreichen Seiten die
Lösungen, die Microsoft Office entweder als Teil- oder als Allein-Lösung
vorschlagen, gewürdigt. Doch als Freie-Software-Alternative muss nur der
“gescheiterte” Versuche der Stadt Freiburg herhalten, der offensichtlich sowohl
an veralteter Software wie auch an unzureichender IT-Organisation litt. Dafür
sprechen Aussagen im Gutachten, die auf die mangelhafte Kompatibilität und vor
allem auf regelmäßige Abstürze hindeuten. Beides findet sich in aktuellen
Software-Versionen nicht mehr, weder in LibreOffice noch in Apache
OpenOffice.</li>
<li>Ebenfalls keinen Einfluss genommen in die Beschlussvorlage haben offenbar
die Aspekte des Mehrwerts und der Nachhaltigkeit, die das
Open-Source-Entwicklungsmodell und die Verwendung von offenen Standards für
Bürger, Behörden und die gesamte Gesellschaft haben. Auch etwaige, <a
href="http://blogs.fsfe.org/gerloff/2012/11/01/the-uks-new-open-standards-policy">spätere
Exit-Kosten</a>, die bei zukünftigen Entscheidungen relevant werden, finden
keine Berücksichtigung.</li>
<li>Es ist aus den uns vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich, warum der
Gemeinderatsbeschluss G-07/067 aufgehoben werden soll. Mit welcher Begründung
kann ODF nicht weiter als Standard eingesetzt werden, zumal auch Microsoft
zukünftig auf diesen Standard setzt? Diese Möglichkeit findet in der gesamten
Beschlussvorlage keine Erwähnung, hier wird sich vielmehr bereits auf ein
Produkt eines Herstellers festgelegt. Nach Ansicht der Unterzeichner ist diese
Prozedur keinesfalls vergabekonform und eröffnet potenziellen Auftrag­nehmern
und Bewerbern zahlreiche Möglichkeiten, rechtliche Schritte einzuleiten.</li>
</ul>
<p>Gerne hätten wir uns in den Prozess zur Beurteilung des Gutachtens schon früher
eingebracht, aber trotz unseres offenen Briefes an die Stadt vom 18. September
2012 wurde uns das Gutachten und die Stellungnahme der Verwaltung erst Anfang
dieser Woche, zusammen mit der Öffentlichkeit, zur Verfügung gestellt.</p>
<h2>3) Beschlussvorschlag an Sie</h2>
<p>Wir möchten Sie auffordern, als Gemeinderat eine politische und nachhaltige
Entscheidung zugunsten von Offenheit, Transparenz, Mitbestimmung und Mitwirkung
aus dem Jahre 2007 nicht vorschnell in eine Entscheidung zu verwandeln, die zu
direkten Lizenzzahlungen an einen proprietären Hersteller in Höhe von ca.
550.000 EUR führt.</p>
<p>Große Städte wie München, Jena und (seit der Erstellung des Gutachtens im
Sommer 2012 dazugekommen) Leipzig beweisen, dass LibreOffice- oder
ApacheOffice-Implementationen der neuesten Generation erfolgreich sind. Auch in
kleineren Städten wie der Stadt Schwäbisch Hall oder Treuchtlingen laufen
Projekte mit einem klaren Fokus auf offenen Office-Suiten zur großen
Zufriedenheit und haben zu deutlichen Einsparungen geführt.</p>
<p>Weltweite Beispiele belegen Erfolge, die Institutionen jeder Couleur mit
freien Office-Produkten wie LibreOffice haben - die Keynote von Italo Vignoli
von der LibreOffice Konferenz <a
href="http://conference.libreoffice.org/talks/content/sessions/003/files/berlin-achievements.pdf">nennt
hier zahlreiche Beispiele</a>.</p>
<p>Gerade die Fortschritte der letzten Jahre innerhalb der freien
Office-Projekte (erfolgreiche Einführung von Qualitätsmanagement und
Unit-Testing, LibreOffice gewinnt als Marktführer mehr und mehr User - 60
Millionen Anwender weltweit) bezeugen die Fähigkeiten der kostenfreien
Alternativen. Dass dabei jedoch weitreichende organisatorische Vorarbeiten und
Planungen zu treffen sind, versteht sich. Ohne die jedoch ist auch eine
Migration auf proprietäre (Office-)Produkte zum Scheitern verurteilt. Eine
Office-Migration, egal mit welchem Ziel, ist stets mehr von organisatorischen
Faktoren geprägt denn von technischen (Beispiel: Formatvorlagen). Gerade bei
diesen Fragestellungen können wir Ihnen Kontakte und Gesprächspartner anbieten,
die nachhaltige und erfolgreiche Projekte durchgeführt haben, wie zum Beispiel
in Schwäbisch Hall oder München.</p>
<p>Wir schlagen vor, den Erfahrungsaustausch diesbezüglich weiter zu verfolgen
und zügig ein neuestes Release zu evaluieren und als klare Wahl in der Stadt
einzusetzen. Ein Doppelbetrieb wie bisher ist sicherlich wenig erfolgreich,
insoweit schließen wir uns dem Gutachten an. Einzelne Arbeitsplätze können wie
bisher mit MS Office versorgt werden, dies ist mit einem Hinweis an Lieferanten
zum verwendeten Standard zu begleiten. Parallel ist sicherlich eine aktive
Änderung der Landesvorgaben bzgl. MS Office als Standard nötig. Gerne
unterstützen wir hier bei zukünftigen Initiativen durch entsprechende Gremien
wie den Städtetag.</p>
<p>Zusammenfassend schlagen wir vor, den Beschlussvorschlag abzulehnen und eine
schnelles Update auf eine neue Version einer freien Office Suite (LibreOffice
oder Apache OpenOffice) durch die Verwaltung prüfen zu lassen. Den weiteren Weg
hin zu mehr Einsatz Freier Software in Ihrer Stadt sind wir gerne bereit aktiv
zu begleiten.</p>
<p>Bitte stimmen Sie gegen die Beschlussvorlage.</p>
<p>Mit freundlichen Grüßen,</p>
<p>Peter Ganten - Vorsitzender des Vorstands der Open Source Business Alliance<br />
Holger Dyroff - Sprecher der Working Group Public Affairs und Vorstandsmitglied der Open Source Business Alliance<br />
Matthias Kirschner - Deutschlandkoordinator der Free Software Foundation Europe<br />
Marco Schulze - Bundesverband des Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
Florian Effenberger - Vorsitzender des Vorstands der The Document Foundation<br />
Jacqueline Rahemipour - Vorstandsmitglied des Freies Office Deutschland e.V.</p>
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<tag>PublicAdministration</tag>
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