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<title>Deutsche Corona-App ohne Google-Dienste verfügbar</title>
</head>
<body>
<h1>Deutsche Corona-App ohne Google-Dienste verfügbar</h1>
<p>
Eine Handvoll Freie-Software-Entwickler hat heute geschafft, was
offizielle Stellen monatelang versäumt haben: Sie haben die deutsche
Corona-Warn-App zum Nachverfolgen von Covid-19-Risikokontakten in
einer Version bereitgestellt, die komplett ohne Abhängigkeiten von
Google auskommt und im freien App-Store F-Droid erhältlich ist.
</p>
<p>
Bereits im April dieses Jahres <a
href="/news/2020/news-20200402-02.html">formulierte die FSFE zwei
Grundvoraussetzungen für sogenannte Corona-Apps</a>. Erstens darf es
keine Nutzungspflicht geben, und zweitens müssen sie als Freie
Software verfügbar sein. Auf den ersten Blick erfüllt die im Juni
veröffentlichte deutsche <em>Corona-Warn-App</em> (CWA), wie mittlerweile
viele andere in Europa, diese Anforderungen. Jedoch wird der
Austausch von Geräteschlüsseln mittels Bluetooth, auf deren Basis das
Risiko berechnet wird, von einer unterliegenden Schnittstelle
gehandhabt.
</p>
<figure>
<img
src="https://pics.fsfe.org/uploads/medium/4c841b6189a6d77a8061a94ee30b6d1b.jpg"
alt="Screenshot of Corona Warn App" />
</figure>
<p>
Das Problem dabei: Diese Schnittstellen-Software, <em>Exposure
Notifications API</em> genannt und maßgeblich entwickelt von Apple
und Google, ist größtenteils proprietär. Sie kann also nicht frei
benutzt, untersucht, verbreitet und verbessert werden. In Googles
Android-Betriebssystem ist außerdem die Installation und Nutzung der
Play Services notwendig. Diese Google-Dienste greifen tief in das
System ein und untergraben die digitale Souveränität der
Anwenderinnen und Anwender. Dies verhindert standardmäßig die Nutzung
vieler Corona-Apps für Menschen, die auf <a
href="/activities/android/">Datenschutz und Softwarefreiheit auf
ihren Android-Geräten</a> Wert legen.
</p>
<h2>Ehrenamtliche lösen Problem Schritt für Schritt</h2>
<p>
Eine erste große Verbesserung stellte der Freie-Software-Entwickler
und FSFE-Unterstützer Marvin Wißfeld im September bereit. Er <a
href="https://mastodon.social/@larma/104630652216622243">baute die
Exposure-Notification-Funktionalität in microG ein</a>, eine
Freie-Software-Implementierung der proprietären Google-Dienste. Damit
können zumindest Menschen diverse Corona-Apps verwenden, die ein <a
href="/activities/android/">Google-freies Android-Telefon</a>
besitzen und microG installiert haben.
</p>
<figure>
<img
src="https://pics.fsfe.org/uploads/medium/35a91da85f747e4c4621ce5e8e336b73.png"
alt="Screenshot of microG's Exposure Notification API" />
<figcaption>
Freie-Software-Implementation der unterliegenden Exposure
Notification API in microG
</figcaption>
</figure>
<p>
Vor wenigen Tagen gingen Christian Grigis, Fynn Godau, Marcus
Hoffmann und Marvin Wißfeld noch einen Schritt weiter. Sie <a
href="https://codeberg.org/corona-contact-tracing-germany/cwa-android">integrierten
die Exposure-Notification-Komponente von microG direkt in die
deutsche Corona-Warn-App</a>. Dieses sogenannte Drop-In-Replacement
ermöglicht selbst Menschen, die weder die Google-Dienste noch deren
Freie-Software-Alternative microG installiert haben, die Nutzung der CWA. Außerdem
<a href="https://f-droid.org/packages/de.corona.tracing/">stellen sie
seit heute die App auf F-Droid bereit</a>,
einem App Store mit ausschließlich Freier Software. Das ist somit
auch vorteilhaft für jene Nutzerinnen und Nutzer, die zwar microG
oder Google-Dienste installiert haben, aber ihre Software aus
Sicherheits- und Komfortgründen lieber über F-Droid beziehen.
</p>
<p>
microG-Hauptentwickler und FSFE-Unterstützer Marvin Wißfeld ergänzt
dazu:
</p>
<blockquote>
<p>
"Die vorherige Lösung, microG zu installieren, kommt oftmals aus
verschiedenen Gründen nicht in Frage. Die neue App aus F-Droid ist
aber zum Beispiel auch problemlos auf allen aktuellen Smartphones
von Huawei lauffähig, die seit Mitte 2019 teilweise ohne
Google-Dienste ausgeliefert werden. Die Regierung und das RKI haben
so in den letzten Monaten womöglich tausende Nutzer der
Corona-Warn-App verloren, da ausschließlich Google- und
Apple-Nutzer als Zielgruppe anvisiert wurden."
</p>
</blockquote>
<p>
Es steht nun den verantwortlichen Stellen, der deutschen
Bundesregierung, dem Robert-Koch-Institut (RKI) sowie deren
Auftragnehmern SAP und T-Systems frei, die <a
href="https://github.com/corona-warn-app/cwa-app-android/issues/1483#issuecomment-734491614">Änderungen
in den Hauptentwicklungszweig zu übernehmen</a>, und damit zusammen
mit der Freie-Software-Gemeinschaft an einem Strang zu ziehen.
Außerdem kann diese Methode prinzipiell auch für Corona-Apps anderer
Länder angewandt werden.
</p>
<h2>Freie Software wieder einmal in Vorreiterrolle</h2>
<p>
Wir sehen dabei ein bekanntes Muster: die Freie-Software-Gemeinschaft
<a href="https://github.com/corona-warn-app/cwa-documentation/issues/5">legt
ein Problem sowie eine mögliche Lösung dar</a>, wird aber so lange <a
href="https://github.com/corona-warn-app/cwa-documentation/issues/5#issuecomment-627848335">abgewiesen</a>,
bis Ehrenamtliche das Problem mit unbezahltem Einsatz und ohne
offizielle Unterstützung selbst lösen. Dabei würde es nicht an den
Ressourcen der beteiligten Verwaltungen und Firmen scheitern, diese
signifikanten Verbesserungen selbst auszuführen oder zumindest zu
unterstützen. Es ist löblich, dass die CWA konsequent von Anfang an
als Freie Software entwickelt und veröffentlicht wurde, aber es
mangelte an der notwendigen Konsequenz, um technisch mittlerweile
unnötige Abhängigkeiten von proprietärer Software zu entfernen.
</p>
<p>
Die FSFE appelliert an Regierungen und Verwaltungen, entwickelte
Software als Freie Software zu veröffentlichen, Abhängigkeiten von
Googles und Apples Appstores aufzubrechen und stattdessen ihre Apps
über unabhängige Quellen wie F-Droid installierbar zu machen, und auf
proprietäre Abhängigkeiten zu verzichten. Wie Wißfeld erläutert,
ergeben sich bereits im Fall der Corona-Warn-App ganz konkret
zusätzliche Vorteile bei der Bekämpfung der Pandemie:
</p>
<blockquote>
<p>
"Die freie Implementierung birgt - ganz im Sinne von Freier
Software - das Potenzial für Verbesserungen, die die proprietäre
Schnittstelle von Google nicht ermöglicht. So wäre es zum Beispiel
möglich, bei einer Begegnungs-Warnung auch die Uhrzeit der
Begegnung anzuzeigen. Das kann - bei freiwilliger Datenweitergabe
des Nutzers - den Gesundheitsämter beim Ermitteln von Hotspots oder
Clustern helfen oder für statistische Zwecke genutzt werden, um die
Effektivität von Schutzmaßnahmen zu erhöhen."
</p>
</blockquote>
<p>
Wir danken allen beteiligten Personen, die die Nutzung der Corona-App
in Deutschland ermöglicht haben, ohne dabei Einbußen bei der
Softwarefreiheit in Kauf nehmen zu müssen.
</p>
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<tag key="fya">Android</tag>
<tag key="corona">Corona</tag>
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